06.11.2024 | Bekanntes US-Analysehaus Bernstein hält fest: Personalkosten sind nicht das Problem.
Diese Expertendarstellung dürften im Umkreis von Konzernfinanzchef Dr. Arno Antlitz und Kernmarkenfinanzvorstand David Powels alle gelesen haben: Die am heutigen Mittwoch vorgelegten Quartalszahlen der Volkswagen AG bieten keine Argumente, um einen harten Sparkurs mit Tarifeinschnitten zu rechtfertigen. Das sagt nicht etwa der Betriebsrat - nein, das sagt kein Geringerer als das in der internationalen Anlegerwelt bestens bekannte US-Analysehaus Bernstein. Wörtlich schreiben die Fachleute in ihrer Ausdeutung der am Morgen vorgelegten Neunmonatszahlen, die sie weltweit an den Finanzmarkt und Finanzmedien schickten:
"Obwohl der Betriebsgewinn den Konsens* um 10 Prozent verfehlt hat und die Ergebnisse keineswegs dort sind, wo sie sein sollten, liefern die Ergebnisse unserer Ansicht nach keine weitere Munition für das Argument des Managements, dass historische Kostensenkungen und Opfer von der Belegschaft in Deutschland gebracht werden müssen."
Der Konzern selber sieht das offenbar anders als die Bernstein-Experten. Die Infoseite für die Medien auf der Volkswagen-Homepage begrüßt die Journalistinnen und Journalisten heute gleich ganz am Anfang der Pressemitteilung mit einem Zitat von Dr. Antlitz, in dessen zweitem Satz es heißt: "Die Marke Volkswagen hat nach neun Monaten eine operative Marge von nur noch zwei Prozent erzielt. Dies zeigt den dringenden Bedarf von erheblichen Kostensenkungen und Effizienzsteigerungen."
Was man allerdings dazu wissen muss: Die Kernmarke hat beim Gewinn eigentlich eine Seitwärtsbewegung gemacht. Die 2,1 Prozent Marge (die in der Tat keine Glanzleistung und weit entfernt von den unternehmensseitig gewünschten 6,5 Prozent sind) enthalten den großen negativen Sondereffekt des viele hunderte Millionen Euro teuren Abfindungsprogramms. Das lässt sich alles ab Seite 35 des Neunmonatsberichts nachlesen.
Zu der genauen Summe des Sondereffekts schweigt sich das Unternehmen aus. Bekannt ist aus der Vergangenheit die Angabe, dass es sich um 900 Millionen Euro handelt. Für die Volumengruppe Brand Group Core (BGC), zu der die Kernmarke VW gehört, lautet die Angabe, dass die Marge aktuell 4,4 Prozent beträgt, ohne die als Einmaleffekt auftretenden Restrukturierungskosten sind es 5,2 Prozent. Mit rund 4,5 Milliarden (die Sonderbelastungen schon abgezogen) ist die Volumengruppe Core konzernweit der wichtigste Gewinnposten - weit vor Porsche und Audi.
Denn dass der Konzern finanziell unter Druck steht, ist jedenfalls nicht wesentlich der Kernmarke geschuldet. Die eigentlichen Treiber lassen sich im Zwischenbericht auf Seite 36 oben nachlesen. Dort sind die Gewinne vor Zinsen und Steuern der einzelnen Markengruppen, Marken und Gesellschaften nachzulesen. Daraus ergibt sich: Im Vergleich mit dem entsprechenden Vorjahreszeitraum liegt es vor allem an Audi, Porsche und den Finanzdienstleistungen, dass es nicht mehr ganz so rund läuft wie 2023. Nicht zu vergessen auch die Fußnote 2 unter der ersten Tabelle der Seite 36: Darin versteckt sich das Ergebnis aus China, das wegen der Joint-Venture-Strukturen nicht in die Marken fließt, sondern aus buchhalterischen Gründen in das Finanzergebnis des Konzerns. Auch China gab nach, rund 0,7 Milliarden Euro fehlen im Vergleich mit dem entsprechenden Zeitraum aus 2023.
Merke also: Nicht nur die Pressemitteilungen des Konzerns lesen. Sondern am besten immer direkt die Bilanzen. Und gerne ergänzend auch mal eine Analyse wie etwa die heutige von Bernstein ...
Übrigens: Dass bei der Kernmarke Handlungsbedarf besteht und die Marge nicht auskömmlich ist, stellt der Betriebsrat gar nicht infrage. Im Gegenteil betont er das selber ständig. Zuletzt zum Beispiel hier. Nur bei den Lösungsansätzen für einen Weg aus der Krise gehen die Ansichten auseinander.
*Anmerkung: Der sogenannte Konsens ist die durchschnittliche Erwartung der Analysten im Vorfeld der Zahlenvorlage
Dieser Beitrag wurde von der Webseite IG Metall bei Volkswagen (IG Metall Wolfsburg) übernommen.