06.09.2024 | Staatsoberhaupt äußert sich zur Krise bei Volkswagen: Unternehmenskultur muss weiter tragen!
Verkehrte Welt bei Volkswagen: Die Belegschaft ist verängstigt und wütend, selbst das deutsche Staatsoberhaupt ruft die Vorstandsriege inzwischen zur Ordnung - doch die amüsiert sich in einer hippen Party-Location in Schweden und sucht mit VR-Brillen nach der Zukunft.
Aber der Reihe nach. Zuerst zum Staatsoberhaupt. Denn höher geht es nicht mehr: Der Tabubruch des Vorstandes bei Volkswagen hat inzwischen auch eine Reaktion des Bundespräsidenten ausgelöst. Das deutsche Staatsoberhaupt äußert sich höchst selten zu tagespolitischen Fragen, was auf seinen Status einer "klärenden Kraft" einzahlt. Sprich: Wenn sich der Bundespräsident dann doch einmal zu tagespolitischen Fragen äußert, erzeugt das ein Höchstmaß an Aufmerksamkeit. Dieser Vorgang ist so selten, dass allein der Umstand eine Nachricht wert ist.
Entsprechend groß ist nun die Bedeutung dessen, was Frank-Walter Steinmeier am Donnerstag bei einem Besuch im niedersächsischen Stade zu Protokoll gab. Die meisten Adressaten für seine Worte waren da allerdings mit den Gedanken eh schon woanders: Denn derweil sorgt das Top-Management des Dax-Riesen mit seinem Luxus-Trip nach Stockholm für VW-internen Gesprächsstoff.
Gefragt nach der Krise beim Autohersteller Volkswagen und zum Konflikt zwischen Arbeitnehmerseite und Vorstand sagte der Bundespräsident: "Es zeigt sich darin, dass die weltweite Automobilwirtschaft im Umbruch ist, dass der Wettbewerb, der ohnehin immer schon hart war, noch härter geworden ist. Ich setze darauf und vertraue darauf, dass eine Unternehmenskultur im Hause von Volkswagen, die in der Vergangenheit immer dazu geführt hat, dass man auch in Krisensituationen gemeinsame Lösungen gefunden hat, dass diese Unternehmenskultur auch hier trägt und Ergebnisse zeigt."
Steinmeier sprach die Sätze am Donnerstag bei einem Besuch des Chemie-Industriebetriebs Dow Deutschland im niedersächsischen Stade. Dort informierte er sich über die Energiewende in der Industrieproduktion.
Auf dem Internetauftritt des Bundespräsidenten heißt es über dessen Amtsführung: "Die vom Bundespräsidenten gewahrte parteipolitische Neutralität und Distanz zur Parteipolitik des Alltags geben ihm die Möglichkeit, klärende Kraft zu sein, Vorurteile abzubauen, Bürgerinteressen zu artikulieren, die öffentliche Diskussion zu beeinflussen, Kritik zu üben, Anregungen und Vorschläge zu machen." Hier der Link zu seiner Rolle im Staat.
Was der VW-Vorstand davon hält, ist indes nicht bekannt. Weite Teile der VW-Oberen dinierten derweil im piekfeinen “Artipelag” in Stockholm, eine Mischung aus Museum und Luxus-Herberge (hier ein ganz schickes Video für den ersten Eindruck). Die dortige Kunstausstellung “Ich folge der Sonne” ist vom 4. bis zum 6. September gesperrt fürs kunstbeflissene Fußvolk, denn in dieser Zeit weilen dort Volkswagens Konzern- und Markenvorstände mit ihrem Top-Management-Kreis (kurz: die TMKs). GTMC nennt sich das Event - “Global Top Management Conference”. Auf den Einladungsunterlagen ist auf der ersten Seite noch einmal “Arbeitssprache Englisch” vermerkt, samt einem fetten Ausrufezeichen. Sicher ist sicher … und der Dress Code “Business Casual”.
Die erlesene Speisekarte des Artipelag ist auf jeden Fall einen Blick wert. Wie wäre es denn mit einem “Gebackenen Zander mit warmem Rote-Bete-Salat, Sauce verte und Kartoffelpüree” für den verwöhnten TMK-Gaumen? Über die millionenschweren Kosten dieser Top-Management-Klassenfahrt in die schwedischen Scherengärten ist noch nichts Genaueres bekannt. Sicherlich erreicht die Höhe der Rechnung nicht den Gegenwert der Streichungsphantasien des Vorstandes, der bei Renditeproblemen nicht davor zurückschreckt, VW-Fabriken plattzumachen und betriebsbedingt zu kündigen. Zehntausende VW-ler befinden sich seither in einer Mischung aus Unsicherheit, Sorge und Angst.
Doch zurück ins pittoreske Schweden: Drei Tage sind laut Agenda für die Stockholm-Sause der Bestbezahlten aus Europas größtem Industriekonzern veranschlagt. Wobei der Stundenplan doch eher unambitioniert klingt, schließlich besteht Tag 1 aus “Ankunft und Netzwerken”, Tag zwei erschöpft sich in “Konferenz und Abendessen” und Tag drei ist dann einzig und allein für die “Abreise” reserviert. Shuttle-Flugservice mit den Privatfliegern der Vorstands-Flotte aus Braunschweig-Waggum natürlich inklusive, hin wie zurück. Wer fliegt schon Linie, wenn man nicht muss?
Die GTMC ist ein “strikt internes Event”, was die Einladungsunterlagen noch einmal ausdrücklich betonen und daher den Hauptabteilungs- und Bereichsleitern (und den wenigen -leiterinnen unter ihnen) jegliche Social-Media-Aktivitäten untersagen. Teilnehmer berichten indes von der einen oder anderen argen Enttäuschung in der hippen Location: “Vom Essen her echt nicht überragend. Die Hütte ist aber wirklich ganz nett. Getränke gibt es zum Glück reichlich. Und die Wolfsburger Betriebsversammlung ist übrigens ein omnipräsentes Thema hier!”
Vor 9.00 Uhr am Donnerstag wurde mit den Ernsthaftigkeiten des Konferenz-Programms für die Damen und Herren TMK plus Vorstandsriege nicht begonnen. Wer vorher schon Antrieb verspürt, kann sich dem vorgeschalteten, aber freiwilligen Sport-Programm anschließen.
Inhaltlicher Hauptpunkt der Konferenz: Virtuelle Realität. Dabei mag man sich ja schon fragen, ob manche Beteiligten nach den Nachrichten dieser Woche überhaupt erstmal in der eigentlichen Realität ankommen müssten, bevor sie sich mit der virtuellen von morgen auseinandersetzen. Wobei: Wichtig ist eh nicht der Konferenzstoff, sondern natürlich der Donnerstagabend! An dem geht es nämlich nach einer hübschen Bootsfahrt und einem kurzen Frischmachen zur Abend-Location: eine Wahnsinns-Bar. Ab 20.30 Uhr steigt dort das “Evening Event”, bei dem es dann laut Agenda bis 2.00 Uhr morgens so richtig krachen soll.
Genächtigt wird übrigens nicht in dem Museum (was mangels ausreichend Zimmern wohl auch nur mit Schlafsack und Isomatte ginge), sondern im Radisson Blue Waterfront (was für ein Tempel!), im Radisson Blue Viking (hat eher so Hochhaus-Charme, kostet aber auch nicht weniger) und im Downtown Camper by Scandic (wie hipp! Offenbar kann man da in der Lobby Skateboards leihen - und übrigens: da ist auch die geile Bar für die Abend-Location drin - ideal für kurze Wege vom Glas zum Bett!).
Was der Bundespräsident von all dem halten würde, ist nicht überliefert. Noch einmal seine Botschaft aus Stade: ”Ich setze darauf und vertraue darauf, dass eine Unternehmenskultur im Hause von Volkswagen, die in der Vergangenheit immer dazu geführt hat, dass man auch in Krisensituationen gemeinsame Lösungen gefunden hat, dass diese Unternehmenskultur auch hier trägt und Ergebnisse zeigt."
Naja. Was Volkswagens obere paar Hundert für eine Unternehmenskultur pflegen, haben sie ja gerade in Stockholm unter Beweis gestellt. Hoffentlich gibt es nicht zu viel Kopfschmerzen am Freitagmorgen. Sollte ja schließlich bis um 2.00 Uhr gehen, laut Agenda. Vorsichtshalber ist für den Freitagmorgen dann auch kein Sportprogramm veranschlagt.
Diesen Beitrag haben wir von der IG Metall Wolfsburg übernommen.