29.01.2025 | Jeder vierte Industriearbeitsplatz in Ostdeutschland hängt von der Autoindustrie ab – in Westdeutschland ist der Anteil der Autoindustriearbeitsplätze an allen Industriejobs deutlich geringer. Damit ist der Osten auch besonders stark von der Transformation und aktuellen Konjunkturdelle der Automobilwirtschaft betroffen. Eine neue Studie, die heute im Rahmen einer Fachtagung in Berlin vorgestellt wird, zeigt aber auch besondere Potenziale für eine positive Entwicklung in den kommenden Jahren.
Ostdeutschland ist zur Autoschmiede geworden: VW, BMW, Porsche, Mercedes und Opel haben hier alle seit der Wende neue Produktionswerke errichtet. Jüngster Neuzugang ist Tesla in Grünheide. Insgesamt verdienen knapp 51.000 Menschen ihren Lebensunterhalt an diesen großen Produktionsstandorten. Zusammen mit den Jobs in über 1300 Betrieben der Zulieferindustrie hängt damit eine Viertelmillion Arbeitsplätze im Osten direkt oder indirekt von der Automobilindustrie ab.
Die neue Studie, durchgeführt von Sustain Consult, beschreibt erstmals die Strukturen, Herausforderungen und Potenziale der komplex verflochtenen Branche. Beauftragt wurde sie von den IG Metall-Gewerkschaftsteams in den Transformationsnetzwerken ReTraNetz-Berlin-Brandenburg sowie MoLeWa Leipzig. Die Untersuchung zeigt eine Industrie im Wandel: Ganze 95 Prozent der Betriebe müssen ihre aktuellen Produktionsbedingungen in den kommenden Jahren verändern. Andererseits ist die Region auf die Zukunft ausgerichtet: Pro Arbeitsplatz in der direkten Automobilindustrie bezieht Ostdeutschland das 2,4-Fache an öffentlichen Fördergeldern für Forschung und Entwicklung wie der Westen.
Insgesamt mahnen die Forschenden die Notwendigkeit für eine konkrete, zielgerichtete Transformationsstrategie für die jeweilige Region und Unternehmen an. Das erscheint als dringende Bedingung, um Wertschöpfung und Beschäftigung in der sehr kleinteiligen Betriebsstruktur in Ostdeutschland zu halten und weiter auszubauen.
Dirk Schulze, Leiter des IG Metall-Bezirks Berlin-Brandenburg-Sachsen, erklärt dazu: „Die derzeitige Situation der Automobilindustrie trifft uns auch in Ostdeutschland hart. Allen muss klar sein: eine De-Industrialisierung hier würde weitere unüberschaubare gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Verwerfungen fördern. Genau darum brauchen wir eine innovative Industriepolitik für ganz Deutschland, mit einem gezielten Blick für strukturschwache Regionen. Die IG Metall ist dafür ein verlässlicher Partner. Transformation und Erhalt von guter Arbeit gehen nur gemeinsam mit uns und den Beschäftigten.“
Jörg Köhlinger, Leiter des IG Metall-Bezirks Mitte, erklärt: „Die herausragende Bedeutung der automobilen Wertschöpfungskette für Thüringen hat die Studie erneut bestätigt. Um diese abzusichern und auszubauen, bedarf es dringend positiver Impulse für einen wirtschaftlichen Aufschwung durch die Politik. Investitionen in die Infrastruktur, in Erneuerbare Energien, Stromnetze oder Wasserstoffinfrastruktur dürfen nicht auf die lange Bank geschoben werden.“
Thorsten Gröger, Leiter des IG Metall-Bezirks Niedersachsen-Sachsen-Anhalt, erklärt: „Der Übergang zur E-Mobilität ist für Sachsen-Anhalt eine immense Herausforderung, da die Automobilunternehmen derweil noch stark auf traditionelle Antriebe setzen. Die Automobilindustrie stellt etwa ein Viertel aller Industriearbeitsplätze in Sachsen-Anhalt. Um diese Arbeitsplätze zu sichern, müssen wir die Potenziale voll ausschöpfen und die Hochschul- und Forschungslandschaft stärker mit den kleinen und mittelständischen Unternehmen der Automobilzulieferindustrie vernetzen. Besonders wichtig sind die Themen Leichtbau und Recycling. Zentraler Grundpfeiler für den Erhalt von automobilen Industriearbeitsplätzen stellen aber wettbewerbsfähige Energiepreise und eine gezielte Förderung der E-Mobilität dar.“
Einen aktuellen Beitrag dazu findet ihr u.a. auch beim MDR unter diesem Link.
ReTraNetz-BB (Regionales Transformationsnetzwerk für die Fahrzeug- und Zulieferindustrie Berlin-Brandenburg) und MoLeWa (Mobilität Leipzig im Wandel) gehören wie etwa auch ITAS (Initiative Transformation der Automobilregion Südwestsachsen) zu den bundesweit 27 Transformationsnetzwerken, die vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz gefördert werden.
Ihr Ziel ist es, die Entwicklung und Umsetzung einer jeweils regionalen Transformationsstrategie für die Automobilindustrie mit ihren Partnern im Zuliefer- und Dienstleistungsbereich zu schaffen. Im Fokus stehen die Förderung von vorhandenen Stärken, die Definition von neuen Themen, die modellhafte Entwicklung von Maßnahmen und die Begleitung von Tests sowie Anwendungen. Wie in den anderen Netzwerken mit IG Metall-Beteiligung stellen die Gewerkschaftsteams der Regionalen Netzwerke bei ihrer Arbeit die Kooperation mit den Arbeitnehmervertretungen, die Beschäftigungssicherung und Qualifizierung in der Transformation in den Vordergrund ihrer Arbeit.