BESSER MIT BETRIEBSRAT

"Dieses Ergebnis zeigt, dass sich gemeinsam richtig was bewegen lässt"

29.06.2022 | Ordentliches Einkommensplus trotz unsicherer Zeiten: Mit 5,6 Prozent mehr in zwei Schritten, mehr Urlaubsgeld, zwei Einmalzahlungen in 2022 und der Fortführung des Tarifvertrags Altersteilzeit kann sich das Tarifergebnis für die ostdeutsche Textilindustrie sehen lassen. Wir haben für metall – Dein Magazin mit dem Betriebsrat von Adient über Erfolge und Herausforderungen der Betriebsratsarbeit gesprochen. Hier findet ihr das ganze Interview.

Der Betriebsratsvorsitzende von Adient, Mario Fröhlich, schwört die Kolleginnen und Kollegen beim Tarifauftakt im Februar auf die anstehende Tarifrunde ein. Fotos: IG Metall Zwickau

Adient-Betriebsratsvorsitzender Mario Fröhlich.

Heike Meyer ist die stellvertretende Betriebsratsvorsitzende bei Automobilzulieferer Adient mit Sitz in Meerane.

Betriebsratsmitglied Reiko Mothes.

Gemeinsam ordentlich Druck gemacht: Kolleginnen und Kollegen aus mehreren sächsischen Textilbetrieben, darunter auch Adient aus Meerane, vor dem Verhandlungsort im Mai 2022. Fotos: IG Metall

Seit 2015 ist Mario Fröhlich Betriebsratsvorsitzender bei Adient. Der Automobilzulieferer fertigt u.a. Sitze für das Zwickauer Fahrzeugwerk von Volkswagen. Gemeinsam mit seiner Stellvertreterin Heike Meyer und Betriebsratsmitglied Reiko Mothes berichtet er, welche Herausforderungen die Betriebsratsarbeit mit sich bringt und was sich das Gremien nach der Wahl für die kommenden vier Jahre vorgenommen hat.

Ihr habt im Mai einen ordentlichen Tarifabschluss hingelegt. Wie fühlt sich das – insbesondere in diesen unsicheren Zeiten – für euch an?

Mario: Dieses Ergebnis zeigt, dass sich gemeinsam richtig was bewegen lässt. Es waren wirklich zähe Verhandlungen und harte Fronten. Aber am Ende waren es die Kolleginnen und Kollegen, von Adient, aber auch aus vielen anderen Betrieben, die mit verschiedenen Aktionen klargemacht haben: Wir lassen uns nicht abspeisen! Jetzt bekommen wir in zwei Schritten 5,6 Prozent auf die Tabelle drauf: 4,1 Prozent ab Oktober und weitere 1,5 Prozent im kommenden Herbst. Dazu wird das Urlaubsgeld 2022 und 2023 angehoben, es gab im Mai eine Einmalzahlung und eine weitere wird’s im August geben. Auch die Jahressonderzahlung erhöht sich im Jahr 2023 von 60 auf 75 Prozent eines Monatsentgelts. Damit ist ein erster Schritt hin zur Angleichung der Jahressonderzahlung an das Westniveau geschafft.

Heike: Und nicht zu vergessen: Der Tarifvertrag Altersteilzeit wird bis 2024 fortgeführt. Vor allem hat uns diese Tarifrunde aber gezeigt, dass die Kolleginnen und Kollegen stehen, wenn es darauf ankommt und das ist nach den letzten beiden Corona-Jahren nicht selbstverständlich. Wir konnten uns in dieser Zeit kein Stimmungsbild abholen. Überhaupt war es schwierig, Beteiligung zu organisieren. Umso wichtiger ist es jetzt, dass wir regelmäßig an die Linie gehen und ranhören, wo der Schuh drückt.

Was nehmt ihr euch nach den Betriebsratswahlen für die kommenden vier Jahre vor?

Mario: Priorität Nummer Eins: Standort und Arbeitsplätze sichern! Die Mitarbeiter müssen besser qualifiziert und motiviert werden, denn bei der Wertschätzung und Bindung an den Betrieb besteht noch Verbesserungsbedarf. Wir müssen uns da ehrlich machen: Wir haben in allen Bereichen eine permanente Überlastung. Ergonomie und Gesundheitsschutz, das sind unsere großen Themen – diese Arbeit geht auf Dauer wirklich auf die Knochen.

Heike: Und wer geht am Ende? Das sind in der Regel die guten Mitarbeiter!

Reiko: Das stimmt, inzwischen sind leider auch etliche langjährige Kolleginnen und Kollegen zunehmend unzufrieden. Wir haben bereits eine Vielzahl guter Vereinbarungen und in dieser Tarifrunde ging es aufgrund der Inflation natürlich auch um’s Geld. Aber darum geht es vielen Beschäftigten nicht in erster Linie, sondern vor allem um bessere Arbeitsbedingungen.

Mario: Insbesondere für die Kolleginnen und Kollegen aus osteuropäischen Ländern ist das hier nur ein Job. Wenn’s nicht mehr passt, suchen sie sich etwas anderes. Neue Mitarbeiter zu integrieren, ihnen Starthilfe zu geben – das ist stark verbesserungsbedürftig. Das muss sich ändern! Wir müssen aber auch selbstkritisch sein: Nicht immer gelingt es uns, den Kolleginnen und Kollegen an der Linie unsere Arbeit rüberzubringen. Ein Aushang am Schwarzen Brett tut es halt nicht mehr.

Heike: Wir haben im Betrieb 22 Nationalitäten – allein das Wahlausschreiben zur BR-Wahl hatten wir in 20 Sprachen vorliegen, damit wir möglichst alle abholen. Wir haben uns vorgenommen, noch mehr auf die Kolleginnen und Kollegen zuzugehen. So machen wir jetzt immer mittwochs eine VL-Runde vor der Spätschicht. Außerdem gehen wir auf Mitarbeiter anderer Nationalitäten zu und versuchen sie mit ins Boot zu holen, beispielsweise in der VL-Arbeit, damit wir die ganze Belegschaft abbilden und nicht nur einen Teil.

Reiko: Und wir haben trotz der persönlichen Reibereien, die es in den vergangenen Jahren im Betriebsrat gegeben hat – Stichwort drohende Amtsenthebung für Mario – tatsächlich eine ganze Reihe von Erfolgen vorzuweisen: Ganz oben auf der Liste steht die Arbeitszeitverkürzung. 2019 haben wir noch 40 Stunden gearbeitet, aktuell sind es 37,5 Stunden und ab 2023 haben wir die 37-Stunden-Woche. Das ist eine Sonderregelung über der Fläche, in der derzeit noch 39 Stunden gearbeitet werden. Wir hatten zwei Jahre lang den Nachteilsausgleich in Zusammenhang mit dem Umzug nach Meerane – ein schönes Paket mit Nachtschichtzuschlag, Tankgutschein, extra Kilometerpauschale. Wir haben den Prämienlohn neu verhandelt, mehr Pausen rausgeholt und die Kolleginnen und Kollegen in den Bereichen Transport und Polsterer/Montierer aufgruppiert.

Mario: Wenn man das alles so zusammenfasst, kann sich das wirklich sehen lassen. Leider bekommen wir das nicht immer alles auf die Straße, wenn man an der Linie nebenbei angesprochen wird, was es eigentlich bringt in der Gewerkschaft zu sein. Ich würde sagen: All das hätte uns keiner geschenkt und all das wäre sofort wieder weg, wenn wir nicht diesen Rückhalt in der Belegschaft hätten und deshalb solchen Druck aufbauen könnten wie in dieser Tarifrunde. Und gerade in solch unsicheren Zeiten, angesichts der Frage wie Tesla die deutsche Automobilindustrie verändert, wie es mit der Elektromobilität weitergeht, da braucht es eine starke, sichere Bank wie die IG Metall.

 

Das Gespräch führte Claudia Drescher-Kriegsmann, verantwortlich für die Öffentlichkeitsarbeit der Geschäftsstelle Zwickau.

Von: cdr

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