2. Delegiertenversammlung 2021 in Glauchau

IG Metall Zwickau diskutierte mit Spitzenpolitik

18.06.2021 | Am 26. September wählt Deutschland einen neuen Bundestag. Längst sind die Parteien und ihre SpitzenkandidatInnen im Wahlkampfmodus. Kein schlechter Zeitpunkt also, um mit der Politik ins Gespräch zu kommen. Bei unserer zweiten Delegiertenversammlung 2021 ging es am Donnerstag um die großen Fragen der Zeit: soziale Gerechtigkeit, Klima, Transformation oder Rente. Aber auch über Konkretes wie die finanzielle Belastung von Familien mit Kindern während der Corona-Pandemie, Altersteilzeit oder eine weitere Anhebung des Mindestlohns wurde angeregt diskutiert. Ihr wollt euch selbst ein Bild machen? Dann lest unseren Bericht oder schaut euch den Livestream nochmal als Aufzeichnung an - den Link findet ihr am Ende des Beitrags.

Zweite Delegiertenversammlung 2021 am Donnerstag, 17. Juni in der Sachsenlandhalle Glauchau. Fotos: IG Metall Zwickau/Claudia Drescher

Unsere zweite Delegiertenversammlung 2021 fand erneut im hybriden Format statt: Vor Ort in der Sachsenlandhalle Glauchau hatten sich ab 17 Uhr 60 Kolleginnen und Kollegen mit Abstand und Maske eingefunden. Per Videokonferenz zugeschaltet verfolgten 26 weitere TeilnehmerInnen die Veranstaltung am Bildschirm.

Ebenfalls digital zu Gast waren ab 18 Uhr Marco Wanderwitz, CDU-Bundestagsabgeordneter und Beauftragter der Bundesregierung für die neuen Länder, Kevin Kühnert als stellvertretender SPD-Bundesvorsitzender sowie der Vizepräsident des Landtags von Sachsen-Anhalt, Wulf Gallert für Die Linke in Vertretung von Parteichefin Susanne Henning-Wellsow, die kurzfristig abgesagt hatte. Sachsens Landespolitik war vertreten durch Gerhard Liebscher, Landtagsabgeordneter für Bündnis 90/Die Grünen im Vogtland.

Aus dem nicht öffentlichen Teil noch mit eindrucksvollen Bildern der Tarifrunde 2021 im Kopf stieg Thomas Knabel, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Zwickau, direkt in die wichtigsten Themen der Zeit und unserer Region ein: „Sozialstaat, Nachhaltigkeit, Verteilungsgerechtigkeit, gute Arbeit und Beschäftigungssicherung. Das sind die Punkte, die wir miteinander verbinden müssen.“

Folgen der Krise: Suppenküche oder Schampus?

Vor allem angesichts der Frage, wer die Corona-Krise am Ende bezahlen wird – Stichwort Suppenküche oder Schampus – ist aus seiner Sicht große Vorsicht geboten. „Klar, wir sind der Standort, der umgebaut wird, hier nimmt die Elektromobilität Fahrt auf. Was wir aber nicht sehen: Dass auch Forschung und Entwicklung hier stattfinden. Davon wollen wir aber dieses Mal etwas abbekommen.“

Das viel zitierte Bild der verlängerten Werkbänke im Osten – auch an diesem Abend stand es wieder zur Debatte. Nicht zuletzt durch das umstrittene Zitat von Marco Wanderwitz, wonach ein Teil der Ostdeutschen „auch nach 30 Jahren nicht in der Demokratie angekommen“ ist. Bei der Delegiertenversammlung kam der Ost-Beauftragte ebenfalls nicht an seinen eigenen Worten vorbei: Es treibe ihn um, dass so viele Menschen im Osten eine rechtsradikale Partei wählten, entgegnete Wanderwitz. Umso wichtiger sei es, den Strukturwandel dieses Mal so anzupacken, dass der Osten bei Zukunftstechnologien die gleichen Startvoraussetzungen habe wie der Westen Deutschlands. Wie das allerdings im Konkreten aussehen soll, blieb offen.

Widerspruch erntete Wanderwitz für eine Zahl: Demnach liegt das Bruttoeinkommen im Osten im Durchschnitt bei 85 Prozent des durchschnittlichen Einkommens der alten Bundesländer. „Inzwischen haben Brandenburg und Sachsen beispielsweise das Saarland beim Haushaltseinkommen überholt.“ Doch was für den CDU-Politiker ein Erfolg ist, stieß bei so manchem Metaller auf Unverständnis. „31 Jahre nach der Wiedervereinigung sollen wir damit zufrieden sein? Das kann man doch keinem mehr erklären“, kommentierte etwa Jan Andrä, VKL-Leiter bei VW.

Zudem seien die 85 % nur die halbe Wahrheit, weil sie die längere Wochenarbeitszeit außer Acht lassen, ergänzte Linke-Politiker Wulf Gallert. Tatsächlich seien es eher 78 %. Das Erzgebirge oder das Vogtland als ausgewiesene Niedriglohn-Gebiete – das sei hingegen lange Zeit erklärte Politik gewesen, meinte Grünen-Politiker Gerhard Liebscher. „Als ich 2005 ins Vogtland kam, warb das Landratsamt auf seiner Webseite noch ausdrücklich damit.“ Delegierter Ansgar Siebert brachte es auf den Punkt: „2200 Euro für 40 Wochenstunden – das ist der Einheitslohn bei nicht tarifgebundenen Zulieferern im Erzgebirge. Wir bauen genauso Premiumprodukte, werden aber deutlich schlechter bezahlt und das seit Jahren. Das macht etwas mit Menschen.“

Von einer Industriepolitik, die diesen Namen nicht verdient, sprach Stefan Kademann, bis 2018 langjähriger Erster Bevollmächtigter der IG Metall Zwickau, der als Gast an der Delegiertenversammlung teilnahm. Vielen Ostdeutschen steckten die Erfahrungen der Wendezeit noch in den Knochen, sagte er in die Runde der Spitzenpolitiker und fragte: „Was können wir gemeinsam tun, um den Leuten die Angst zu nehmen, dass die aktuellen Veränderungen wieder nur zu ihren Lasten gehen?“

Krise allein zulasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, das geht nicht!

Ob steigende Benzinpreise oder 67 % Verdienstausfall für Eltern, die ihre Kinder während der Pandemie zuhause betreuen mussten bei 100 % Kostenbelastung – viele Delegierte nutzten die Gelegenheit, den Politikern ein zentrales Anliegen mit auf den Weg zu geben: Krise allein zulasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, das geht nicht!

Damit landete die Diskussion umgehend beim Thema Rente: Elke Merkel, Betriebsratsvorsitzende bei Schnellecke, etwa sagte: „Ich sehe seit 30 Jahren jeden Monat Rentenbescheide, bei denen das Geld einfach nicht reicht.“ Während Wulf Gallert die Forderung der Linken nach einer steuerfinanzierten Mindestrente von 1200 Euro als Lösung vorbrachte, stellte SPD-Bundesvorsitzender Kevin Kühnert die prinzipielle Frage nach der zukünftigen Finanzierung der Renten und warb für eine Erwerbstätigenrente für alle. „Wir sehen in den Unternehmen seit Jahren Produktivitätszuwächse. Doch wer bekommt von diesem größer werdenden Kuchen etwas ab? Wo steht denn festgeschrieben, dass man nach seinem Erwerbsleben nur noch 15 Jahre leben darf? Wir müssen das Sortiment der Schrauben, an dem wir beim Thema Rente drehen, deutlich erweitern.“

Deutliche Absage für Rente mit 68

Der Rente mit 68 erteilte er ebenso eine Absage wie Gallert und Liebscher. „Wir fordern von der Politik ein klares Bekenntnis, dass die Rente mit 68 nicht kommt. Das ist nichts anderes als ein Rentenkürzungsprogramm und verachtet die Lebensleistung der Menschen“, kommentierte Thomas Knabel. Stattdessen brauche es andere Regelungen bei der Altersteilzeit und neue Instrumente, um das Thema anzugehen. Ein konkreter Vorschlag vom Delegierten Sven Schneider: Eine Möglichkeit schaffen, um mit 55 Jahren aus dem Dreischichtsystem auszusteigen, finanziert über die dann nicht mehr fällig werdenden Nachtschichtzuschläge. Es sei hingegen völlig unrealistisch, bis 68 in drei Schichten am Band zu stehen und 100 % Leistung zu bringen.

Klimawandel über Umverteilung finanzieren

Beim Thema Klimawandel stand vor allem Gerhard Liebscher im Fokus: Entscheidend sei, die soziale Frage mit dem Klimawandel zusammenzubringen. Möglich werde das nur über eine Umverteilung – Einführung eines Energiegelds pro Kopf zur Kompensation finanziert aus der Co2-Steuer, Erhöhung der Spitzensteuersätze, Vermögen anders besteuern, verbesserte Anreize zur Nutzung des ÖPNV, eine weitere Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro und mehr lauteten die Ideen. Darüber hinaus müsse die Tarifbindung wieder gestärkt werden, zum Beispiel, indem öffentliche Aufträge nur noch an tarifgebundene Betriebe vergeben werden.

Wulf Gallert sprach sich darüber hinaus dafür aus, Auswüchse der Agenda 2010 zurückzudrehen. Mini- oder Midi-Jobs u.ä. tragen demnach zur Zersplitterung von Belegschaften bei, was eine gewerkschaftliche Organisation erschwert. Das gelte es zu ändern. „Auf der einen Seite Milliardengewinne, auf der anderen Seite Eltern und andere sozial schwächere Menschen, die nun von Kürzungen bedroht sind und auch noch länger arbeiten sollen… Wer bezahlt diese Krise? Wir können hier neue Wege gehen. Mit der Bundestagswahl entscheidet sich, wie sich unsere Gesellschaft entwickelt, damit am Ende nicht wieder nur die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer über längere Arbeitszeiten und Rentenabschläge dafür aufkommen müssen.“

Fazit nach rund zwei Stunden Diskussion

„Was wir auf jeden Fall mitnehmen von heute: Wir müssen wieder viel mehr miteinander ins Gespräch gehen. Politiker sollten sich beim Betriebsbesuch eben nicht nur von der Geschäftsleitung herumführen lassen, sondern auch mal am Betriebsratsbüro klopfen. Denn Gewerkschaften sind nicht die Blockierer von Veränderungen, ganz im Gegenteil“, sagte Benjamin Zabel, Zweiter Bevollmächtigter der IG Metall Zwickau zum Abschluss.

Zudem sei es ein ermutigendes Zeichen, dass sich Metallerinnen und Metaller bei allen Sorgen und verständlichem Frust in den Betrieben als Bollwerke gegen rechte Umtriebe und eine Partei erweisen, die nur Wut kanalisiere, aber keinerlei Lösungen habe.

Hier könnt ihr den Livestream nochmal anschauen.

Von: cdr

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