NEUE STUDIE ERSCHIENEN

Leipziger Autoritarismus-Studie 2022: Große Mehrheit steht hinter demokratischer Grundordnung

13.11.2022 | Hohe Wertschätzung für die Demokratie bei anhaltenden Herausforderungen: Die Bürgerinnen und Bürger stehen mit großer Mehrheit hinter der demokratischen Grundordnung unserer Republik. Der „harte Kern“ antidemokratischer Milieus wird kleiner. Allerdings sind nur sechs von zehn Befragten mit den gelebten demokratischen Prozessen zufrieden. Dies sind zwei wichtige Ergebnisse der Leipziger Autoritarismus-Studie, die diese Woche veröffentlicht wurde.

Wenn Sie externe Inhalte von YouTube aktivieren, werden Daten automatisiert an diesen Anbieter übertragen.
Mehr Informationen
Prof. Dr. Oliver Decker fasst die wichtigsten Ergebnisse der Autoritarismus-Studie 2022 zusammen.

Haben sich rechtsextreme und autoritäre Einstellungen in Deutschland verändert? Nimmt die Ausländerfeindlichkeit weiter ab? Und wie stehen die Deutschen zur Demokratie? Diese Fragen beantwortet die „Leipziger Autoritarismus-Studie 2022“.

Seit 2002 analysieren Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen der Universität Leipzig die Entwicklung autoritärer und rechtsextremer Einstellungen in Deutschland, zuerst als Mitte-Studie und seit 2018 als Autoritarismus-Studie. Die Autoritarismus-Studie 2022 zeigt deutliche Entwicklungen und erfasst aktuelle Trends im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie und dem Krieg in der Ukraine. Herausgegeben wird die Studie von Oliver Decker, Johannes Kiess, Ayline Heller und Elmar Brähler. Die Studie mit dem Titel „Autoritäre Dynamiken in unsicheren Zeiten“ ist in Kooperation mit der Heinrich-Böll-Stiftung und der Otto Brenner Stiftung entstanden. 

Die neuen Zahlen belegen eine starke Abnahme des Personenkreises mit geschlossen rechtsextremem Weltbild, insbesondere in Ostdeutschland. Damit bestätigt sich die bereits 2020 konstatierte Verfestigung extremistischer Milieus bei rückläufiger Gruppengröße. Traditionelle antisemitische Einstellungen sind weiter rückläufig. Seit der ersten Erhebung der Leipziger Forscher im Jahr 2002 waren sie noch nie auf so niedrigem Niveau wie dieses Jahr.

Zentrale Ergebnisse

  • Bürgerinnen und Bürger stehen mit großer Mehrheit hinter der Demokratie, der „harte Kern“ antidemokratischer Milieus wird kleiner.
  • Allerdings sind nur sechs von zehn Befragten mit den gelebten demokratischen Prozessen zufrieden.
  • Die Zahl der Personen mit einem geschlossen rechtsextremem Weltbild nimmt ab - bei gleichzeitiger Verfestigung extremistischer Milieus.
  • Ausländerfeindliche Einstellungen verharren auf hohem Niveau.
  • Weit verbreitet sind zudem antifeministische und sexistische Einstellungen - nicht selten gehen sie einher mit anderen Ressentiments wie etwa Homo- und Transfeindlichkeit.

Schon bekannte Problemlagen bleiben aber bestehen. So deutet die mehrheitliche Unzufriedenheit mit der gelebten demokratischen Praxis hin auf wechselseitige Missverständnisse zwischen politischen Akteur*innen und der Bevölkerung, auf womöglich irrtümliche Vorstellungen von Demokratie, aber auch auf substantielle Probleme in den realen politischen Prozessen. 

Dazu kommt: Ausländerfeindliche Einstellungen verharren auf hohem Niveau oder nehmen sogar in den ostdeutschen Bundesländern zu. Chauvinistische Positionen teilt jede/r fünfte junge Ostdeutsche zwischen 16 und 30 Jahren, damit sind diese Positionen in der jungen ostdeutschen Generation deutlich stärker verhaftet als in der restlichen Bevölkerung. Weit in der gesamten Gesellschaft verbreitet sind zudem antifeministische und sexistische Einstellungen. Nicht selten gehen sie einher mit anderen Ressentiments wie etwa Homo- und Transfeindlichkeit und zeigen sich eng verwoben mit einem traditionellen Männlichkeitsbild und einer dogmatisch-fundamentalistischen Religiosität.

„In Zeiten multipler Krisen sind empirische Fakten und Einblicke in die Gesellschaft wichtiger denn je,“ sagt Jan Philipp Albrecht, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung und verweist auf die daraus resultierenden Handlungsbedarfe. „Die Studie zeigt: Wir brauchen eine engagierte demokratische Bildungsarbeit für die vielfältige, liberale Demokratie. Einen Gewöhnungseffekt an autoritäres Gedankengut darf es nicht geben.“

Mehr soziale Gerechtigkeit gefragt

Insbesondere für die gewerkschaftliche Bildungsarbeit interessant sind Ergebnisse über die erstmals erhobenen „gesellschaftlichen Konfliktbilder von Lohnabhängigen“. Hier zeigt sich, dass von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, sofern ein profiliertes Bewusstsein über gesellschaftliche Konflikte vorhanden ist, stets sozioökonomische Interessensgegensätze als maßgebliche gesellschaftliche Widersprüche wahrgenommen werden. Konflikte, die sich auf Religion, unterschiedliche Herkunft oder Geschlecht zurückführen lassen, werden von abhängig Beschäftigten hingegen als weitaus weniger prägend für unsere Gesellschaft und unser Zusammenleben angesehen. „Die Ergebnisse sind ein deutlicher Auftrag an Gewerkschaften und Betriebsräte, auch weiterhin für politische Gestaltungsvorschläge zu streiten, die ein Mehr an sozialer Gerechtigkeit für Alle zum Ziel haben,“ so Jupp Legrand, Geschäftsführer der Otto Brenner Stiftung. Er sieht darin auch ein Mittel, den weit verbreiteten politischen Ohnmachtsgefühlen erfolgreich entgegenzuwirken.

Die Heinrich-Böll-Stiftung und die Otto Brenner Stiftung ziehen als Akteure der politischen Bildung aus der aktuellen Befragung den Schluss, dass neben der Befähigung zur politischen Beteiligung gleichermaßen ein realistisches Verständnis demokratischer Prozesse bei Jung und Alt vermittelt und konkrete Verbesserungen der politisch-institutionellen Praxis angemahnt werden müssen.

Zur Studie: Zwischen Anfang März und Ende Mai 2022 wurden bundesweit 2.522 Personen mit Wohnsitz in Deutschland vor Ort befragt. Die Untersuchung ist repräsentativ für die deutschsprachige Bevölkerung der Bundesrepublik ab 16 Jahre.

Weitere Informationen und Hinweise

Das zweite Kapitel der Studie, das die Methode der aktuellen Erhebung erklärt sowie die Ergebnisse und den Langzeitverlauf der rechtsextremen Einstellungen in Deutschland anhand von zahlreichen Grafiken beschreibt, gibt es unter diesem Link.

Von: cdr

Unsere Social Media Kanäle