SOZIALPOLITIK

Das Märchen vom „aufgeblähten Sozialstaat“

01.04.2024 | Die Sozialausgaben explodieren? Der Sozialstaat ufert aus? Hört man ständig. Stimmt aber nicht. Ein internationaler Vergleich zeigt: Die Ausgaben entwickeln sich unauffällig – und sind in vielen Ländern deutlich höher.

Grafiken: IG Metall

Danach kann man die Uhr stellen: Immer wenn der Staat knapp bei Kasse ist kommt aus der Wirtschaft die Forderung, beim Sozialen zu kürzen. Denn – leider, leider! – sei der Sozialstaat viel zu teuer geworden. Das wird oft behauptet, ist aber trotzdem falsch.

Deutschland gibt im Vergleich mit anderen Industriestaaten weder besonders viel Geld für Soziales aus. Noch sind die Ausgaben in den vergangenen Jahren übermäßig gewachsen.

Das zeigt eine Analyse des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK). Ökonom Sebastian Dullien und Ökonomin Katja Rietzler haben dafür Daten der Industrieländerorganisation OECD und der EU-Kommission ausgewertet.

Ihr Fazit: „Wer von einem ungebremst wachsenden Sozialstaat spricht, oder davon, dass der Staat generell immer weiter aufgebläht werde, verbreitet eine Mär, die nicht durch Fakten gedeckt ist“ – so Sebastian Dullien, wissenschaftlicher Direktor des IMK.


Irreführende Zahlen

Oft werde die Behauptung vom „aufgeblähten Staat“ daran festgemacht, dass Staats- oder Sozialausgaben „neue Rekorde“ erreichen. Doch nominale Geldbeträge sagen dem Wirtschaftsforscher zufolge wenig aus.

In der Analyse heißt es dazu: Preise und Einkommen steigen jedes Jahr, so dass immer neue „Rekorde“ bei Einnahmen und Ausgaben nur logisch sind. „Wenn etwa die Einkommen der Beschäftigten zulegen, ist es ganz normal, dass auch etwa die Rentenzahlungen zulegen – denn diese sollen ja einen gewissen Anteil der Einkommen absichern“, schreiben die Forschenden.

Viel aussagekräftiger seien andere Kennzahlen: Zum Beispiel das Wachstum der Sozialausgaben im Vergleich zur Wirtschaftsleistung, oder im Vergleich zu den Ausgaben in anderen, vergleichbaren Staaten. Solche Größen haben Dullien und Rietzler anhand der aktuellsten verfügbaren Daten untersucht.

Die Ergebnisse des Datenchecks im Einzelnen:


Wachstum der Sozialausgaben

Im Vergleich mit anderen Industrieländern ist das Wachstum der öffentlichen Sozialausgaben in Deutschland seit Jahrzehnten unauffällig: Unter den OECD-Ländern liegt Deutschland weit hinten – mit einem Zuwachs von 26 Prozent im Zeitraum 2002 bis 2022.

Weit vorne liegen Länder wie Irland (plus 130 Prozent), Polen (plus 126 Prozent) oder Norwegen (plus 92 Prozent). Auch die USA liegen mit plus 83 weit vor Deutschland.

Sozialausgaben im Vergleich zur Wirtschaftsleistung (BIP)

Im Vergleich zur Wirtschaftsleistung sind die staatlichen Sozialausgaben in Deutschland unauffällig. Der Vergleich zu anderen Industriestaaten zeigt: Deutschland liegt hier im oberen Mittelfeld, keinesfalls an der Spitze.

Deutlich schlanker stehen die USA, die Niederlande und die Schweiz da –  allerdings nur scheinbar, wie der IMK-Datencheck zeigt. Denn: In diesen drei Ländern ist eine private Krankenversicherung weitgehend Pflicht. Nimmt man öffentliche, vom Staat vorgeschriebene und freiwillige Ausgaben für Soziales zusammen, dann liegen die USA und die Niederlande sogar leicht vor Deutschland.

Staatsausgaben insgesamt

Wie groß sind die gesamten deutschen Staatsausgaben im Vergleich zur Wirtschaftsleistung? Hier ist Deutschland laut IMK-Analyse ebenfalls durchschnittlich unterwegs. Mit einem BIP-Anteil von 48,2 Prozent ist die sogenannte Staatsquote in Deutschland sogar etwas niedriger als im Durchschnitt der EU-Länder.

Über die vergangenen 30 Jahre ist dieser Wert weitgehend konstant geblieben. Von einem unaufhörlich wachsenden Staat kann also nicht Rede sein.

Schon jetzt müssen viele Menschen mit einer kleinen Rente auskommen. Und dass Bürgergeld deckt das Existenzminimum, da gibt es nichts zu kürzen.

Wenn der Staat mehr Geld braucht, sind andere Ideen gefragt: Zum Beispiel ein angemessener Beitrag der Topverdiener und Vermögenden.

Die gesamte Analyse des IMK gibt es hier.

Von: cdr

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