02.04.2024 | Bei zwei weiteren Betrieben in der Region heißt es: Ungerechte Nasenprämie war gestern, jetzt gibt es einen Tarifvertrag mit klar geregelter Eingruppierung. Bei Joyson Safety Systems im erzgebirgischen Elterlein und bei Dr. Gühring im vogtländischen Treuen haben sich die Belegschaften für einen Tarifvertrag stark gemacht und werden nun erstmals tarifgebunden bezahlt.
„Mit dem abgeschlossenen Haustarifvertrag bei Joyson ist der erste Schritt hin in Richtung des Flächentarifvertrags der Metall- und Elektroindustrie gemacht“, meint Stefan Fischer, Gewerkschaftssekretär der IG Metall Zwickau. Die Kolleginnen und Kollegen des international agierenden Airbag-Herstellers hatten erst im Herbst 2022 nach mehr als 25 Jahren ohne Arbeitnehmervertretung in Elterlein einen Betriebsrat gegründet. Wenige Monate später ging es in die ersten Tarifverhandlungen. „Wir haben gezeigt, dass es auch mal schnell gehen kann. Das ist ein Meilenstein für unseren Standort“, ist Betriebsratsvorsitzender André John überzeugt.
Das Beispiel Joyson zeige auch, dass es beim Thema Tarifbindung nicht allein ums Geld gehe: „Das Entgelt an diesem Standort war insgesamt nicht schlecht, lief aber bei einem vergleichsweise niedrigen Grundentgelt vor allem über teils undurchsichtige, teils nur freiwillig geleistete Bonuszahlungen und Erfolgsbeteiligungen. Letztere sind immer vom Willen des Arbeitgebers abhängig, einen Anspruch haben Beschäftigte nicht. Mit dem abgeschlossenen Tarifvertrag ist das Grundentgelt deutlich gestiegen und damit auch die Sicherheit für die Belegschaft“, so Stefan Fischer. Das macht sich beispielsweise auch während einer Krankschreibung bemerkbar – in die Lohnfortzahlung werden freiwillig geleistete Bonuszahlungen nicht einberechnet, das tariflich festgelegte Grundentgelt hingegen schon.
Die rund 600 Kolleginnen und Kollegen am Standort Elterlein haben damit ein solides Fundament und eine Perspektive für die Zukunft, auf die sie aufbauen können. Für das vierte Quartal 2024 gibt es eine unterschriebene Verhandlungsverpflichtung, um weitere Fragen zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite voranzubringen.
Dass es einerseits schnell gehen kann, man andererseits trotzdem einen langen Atem braucht, um Mitbestimmung und Tarifbindung im Betrieb umzusetzen, erlebt die Belegschaft von Dr. Gühring in Treuen. Die Kolleginnen und Kollegen, die größtenteils in rollender Woche arbeiten, entschieden sich im Januar 2023 dazu ihren Arbeitgeber zu Tarifverhandlungen aufzufordern. Seit 1. Januar 2024 ist der Haustarifvertrag, der eigentlich ein ganzes Tarifwerk mit einer Vielzahl von Regelungen ist, in Kraft. „Viele Monate Arbeit liegen hinter uns. Aber endlich haben wir auch an in Treuen eine Tarifbindung, wie sie an anderen Gühring-Standorten seit Jahren üblich ist“, sagt Betriebsratsvorsitzender Daniel Neumann.
Der Hersteller von Präzisionswerkzeugen für die Metallzerspanung hat am Standort Treuen vier Werke, weltweit sind es mehr als 70 Produktionsstandorte. Der Stammsitz ist in Albstadt-Ebingen (Baden-Württemberg). „Für die Kolleginnen und Kollegen ging es in dieser Frage vor allem auch um Gerechtigkeit und gleiche Bezahlung Ost wie West. Weil ein Großteil der Belegschaft rollende Woche arbeitet, spielte auch das Thema Zuschläge eine zentrale Rolle“, erläutert IG Metall Gewerkschaftssekretärin Anne Karras. Bis letztes Jahr arbeiteten viele der rund 400 Frauen und Männer auch schon regelmäßig sonntags – ohne jeden Zuschlag. Jetzt werden Zuschläge nach Tarif gezahlt. „Das macht auf den Lohnabrechnungen des neuen Jahres mitunter mehrere hundert Euro netto aus.“
Darüber hinaus wurden in dem mehrere Monate andauerndem Prozess alle Beschäftigten entsprechend ihrer Tätigkeiten eingruppiert und weitere tarifliche Verbesserungen der Arbeitsbedingungen erzielt, darunter die Anerkennung des Entgeltrahmenabkommens und der Entgelttabelle auf Grundlage der sächsischen Metall- und Elektroindustrie. „Beide Belegschaften stellen damit unter Beweis, dass es sich lohnt, gemeinsam für Mitbestimmung anzutreten und dass man mit einem starken Zusammenhalt etwas verändern kann“, so Stefan Fischer, der bei der IG Metall Zwickau Ansprechpartner für Betriebe ist, in denen es bislang keine Arbeitnehmervertretung gibt – aber Beschäftigte, die das ändern möchten.
Ohne Betriebsrat verzichten Beschäftigte auf Rechte, die ihnen per Gesetz zustehen. Laut Betriebsverfassungsgesetz ist ein Betriebsrat schon in Betrieben mit mindestens fünf Mitarbeitenden möglich. Ohne ein solches Gremium haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer keinerlei gesetzlich garantierte Mitbestimmungsrechte.
Und: Mit einem Betriebsrat zieht im Grunde genommen die Demokratie im Betrieb ein – erst dann agieren Arbeitnehmer und Arbeitgeber auf Augenhöhe, haben Beschäftigte zum Beispiel Mitspracherechte in punkto Schichtplanung.