Volkswagen

VW-Betriebsversammlung: „Letztens waren wir noch die ‚Perle‘ des Unternehmens – heute fühlen wir uns eher wie eine Auster, die ausgesaugt wird“

05.09.2024 | Minutenlange Pfeifkonzerte, lautstarke Buh-Rufe und ohrenbetäubendes Tröten nach jedem dritten Satz des VW-Markenvorstands Thomas Schäfer auf der einen Seite. Stehender Applaus für den Betriebsrat und Kolleginnen und Kollegen, die vor tausenden Beschäftigten ihrer ganzen Wut, ihrem Frust, ihrer Verzweiflung und ihrem Vertrauensverlust in „ihr“ Unternehmen teils hoch emotional Ausdruck verleihen auf der anderen Seite – selten war die Stimmung bei einer Betriebsversammlung im Zwickauer Fahrzeugwerk von Volkswagen so aufgeheizt wie am Donnerstagnachmittag.

Fotos: IG Metall Zwickau + privat

„Werke in Frage zu stellen ist, als ob man ganze Regionen dem Erdboden gleichmacht. Mit uns als Gesamtbetriebsrat wird es keine Werksschließungen an irgendeinem deutschen Standort geben“, sagte Uwe Kunstmann, Betriebsratsvorsitzender von Volkswagen Sachsen. Zugleich machte er deutlich, dass es am Management sei, die bestehenden Probleme endlich anzupacken und gemeinsam mit der eigenen Belegschaft und der Arbeitnehmervertretung Lösungen zu erarbeiten.

„Entweder ändere ich den Kurs, und das kann nur mit der Mannschaft funktionieren, oder ich steuere orientierungslos weiter auf den Eisberg zu“, sagte er unter lautem Beifall der rund 3000 Beschäftigten in der Halle. Draußen verfolgten tausende weitere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter das Geschehen per Übertragung.

„Fabriken schließen, betriebsbedingt kündigen und Tarifverträge in Frage stellen, das sind keine Lösungen – ich nenne das ein Armutszeugnis für diesen Vorstand“, setzte die stellvertretende Betriebsratsvorsitzende Kristin Oder nach. Bei Volkswagen habe man Probleme immer gemeinsam gelöst und nicht gegen die Belegschaft, appellierte sie in Richtung der Geschäftsführung. Es könne nicht sein, dass die Beschäftigten allein für die Krise bezahlen, die Topmanager zu verantworten hätten.

So habe der Betriebsrat bereits mehrfach Ideen und Vorschläge erarbeitet, die er VW-Markenvorstand Thomas Schäfer zuletzt erst vor zwei Wochen bei einem Vor-Ort-Termin im Zwickauer VW-Werk übergeben hatte. „Machen Sie endlich Ihre Arbeit!“, forderte Kristin Oder.

Vom Vorstand selbst gab es auch im Rahmen der Betriebsversammlung in Zwickau – wie schon zuvor am Mittwoch und Donnerstag an anderen Standorten – keine neuen Informationen. In Richtung des Managements sagte Thomas Knabel, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Zwickau: „Sie haben hier und heute eine Chance verpasst: Statt Verantwortung für Fehler zu übernehmen, haben Sie 59-mal von ‚Wir‘ gesprochen. Doch dieses ‚Wir‘ ist bei Volkswagen seit Montag ein anderes. Es gibt die Belegschaft und es gibt den Vorstand. Hinter unserem ‚Wir“ stehen 60.000 Menschen allein hier in der Region.“

Etliche Beschäftigte ergriffen das Wort und appellierten an die Verantwortung der VW-Geschäftsführung für den gesamten Standort Deutschland. „Wenn ich Sie an Ihre eigenen Worte erinnern darf: Letztens waren wir noch die ‚Perle‘ des Unternehmens. Heute fühlen wir uns eher wie eine Auster, die ausgesaugt wird“, formulierte es eine Montagewerkerin. Nicht wenige Beschäftigten schüttelten mit dem Kopf, als Markenvorstand Thomas Schäfer kurz daraufhin noch während der laufenden Betriebsversammlung mit Verweis auf einen Anschlusstermin die Halle vorzeitig verließ – erneut unter lautstarken Buh-Rufen.

Im Fahrzeugwerk Zwickau und an den beiden weiteren sächsischen VW-Standorten Chemnitz und Dresden sind rund 12.000 Menschen beschäftigt. Allein in Sachsen sind zusammen mit der Zuliefererindustrie etwa 100.000 Arbeitsplätze rund um die drei VW-Standorte von der „Kampfansage des Vorstands“ betroffen, wie es Betriebsrat Uwe Kunstmann formulierte.

Von: cdr

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